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Der Rückblick auf eine fragwürdige Europameisterschaft

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Als der Verfasser dieses Artikels vor dem Start in die Europameisterschaft 2016 ein Plädoyer gegen die Erhöhung der Teilnehmer von 16 auf 24 veröffentlichte, stieß dieses größtenteils auf Zustimmung. Entgegen dem Motto „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ folgt hier nun ein kritischer Rückblick auf einige vor dem Turnier ausgesprochenen Befürchtungen. Die Bilanz ist ernüchternd. Die zusätzlichen acht Mannschaften schöpften ihre Daseinsberechtigung bestenfalls aus einer Sympathieträgerrolle (Island). In der überwiegenden Mehrheit aber minderten sie das Niveau durch destruktive Spielweisen, welche von der UEFA durch ein mehr als fragwürdiges Anreizsystem in der Gruppenphase noch gefördert wurde. Aber der Reihe nach.

Abschneiden der „zusätzlichen“ Teams

Auf Grund der Änderungen in der Qualifikationsrunde zur Europameisterschaft, lässt sich bei fünf der acht zusätzlichen Teams genau sagen, welche Nationen ihre Teilnahme der Aufstockung des Turniers verdanken.

 
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National
Mannschaft
Turnierergebnis (Vorrundenplatzierung)Anzahl Siegeø Anzahl an Toren
(Gesamtplatzierung im Turnier)
ø Anzahl an Torschüssen
(Gesamtplatzierung im Turnier)
UkraineVorrunde (4.)00 (24.)14,33 (9.)
SchwedenVorrunde (4.)00,33 (21.)7,67 (23.)
IrlandAchtelfinale (3.)10,75 (13.)9,5 (16.)
UngarnAchtelfinale (1.)11,5 (6.)13,25 (13.)
TürkeiVorrunde (3.)10,67 (16.)8,67 (19.)

 

Zusätzlich zu den aufgeführten Nationen wären wohl drei der fünf Mannschaften Albaniens, Rumäniens, Islands, Russlands und Kroatiens im ursprünglichen Format nur eine Zuschauerrolle zugekommen. Mit der Ausnahme Islands und – mit Abstrichen – Kroatiens, die durch ihren Vorrundensieg über Spanien zumindest einen entscheidenden Einfluss auf den Turnierverlauf nahmen, wäre wohl auch von diesen Nationen keine vermisst worden.

Das System der „besten Drittplatzierten“

Nun trifft die UEFA an dieser negativen Entwicklung eine doppelte Schuld. Nicht nur die Aufstockung auf 24 Nationen, sondern auch das System der „besten Drittplatzierten“ schuf einen Anreiz für eine defensive taktische Ausrichtung, insbesondere für Mannschaften mit begrenzten offensiven Möglichkeiten – größtenteils also für eben jene, die ihre Teilnahme der Aufstockung verdankten. So reichten drei Punkte in Kombination mit einem ausgeglichenen Torverhältnis zum Weiterkommen. Eine Regelung, von der auch der spätere Sieger Portugal profitierte. Im Extrembeispiel hätten drei torlose Unentschieden einen Platz im Achtelfinale gesichert. Dies wirft die Frage auf, ob unter solchen Umständen der Teufel der Langeweile nicht geradezu heraufbeschworen wurde. Anstatt aus den Fehlern der Weltmeisterschaften 1982 bis 1994 mit 24 Teams zu lernen und ein innovativeres System zu entwickeln, wurde ein altes Format ausgegraben, welches schon vor mehr als 30 Jahren auf der globalen Bühne bestenfalls begrenzten Erfolg hatte.

Auswirkungen auf den Turnierverlauf

Das Leben im Konjunktiv ist selbstverständlich eher etwas für Pessimisten. Eine Frage, welche unweigerlich mit der Qualität der Gegner verbunden ist, wird dennoch über dem Sieger Portugal hängen bleiben. Darf ein Team, welches weder gegen Deutschland, noch Italien, Spanien, Belgien oder England spielt, sich als beste Mannschaft Europas bezeichnen, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass nur ein einziges Spiel in regulärer Spielzeit gewonnen wurde?
Die Antwort muss wohl lauten: Wahrscheinlich nicht, doch verdient Europameister geworden ist Portugal trotzdem. Das jetzige Turnierformat ist lediglich nur bedingt geeignet, unter den 55 Nationalverbänden der UEFA das beste Team zu bestimmen. Nun mag man argumentieren, dass große Turniere mit einer Reihe von Zufallsvariablen verbunden sind. Losglück, Verletzungen wichtiger Spieler und Tagesform sind die wohl offensichtlichsten. In vorherigen Europameisterschaften waren diese Glücksfaktoren aber ungleich kleiner: Größtenteils starke Gegner lassen Losglück kaum zu; weniger Spiele und spielerisch stärkere Teams führen zu einem geringeren Verletzungsrisiko.

Die Tagesform als entscheidender Faktor spielt bei gleichstarken Gegnern tendenziell wohl eine größere Rolle, ist aber aus Unterhaltungsgründen durchaus zu befürworten. Insgesamt haben die Veranstalter sich also für eine Verschiebung der Varianz in eine für Zuschauer weniger attraktive Richtung entschieden – und dadurch wohl einen Sieger Portugal ermöglicht.

Einschaltquoten

Die UEFA wird der objektiv messbare kommerzielle Erfolg des Turniers weitaus wichtiger sein, als die subjektive Beurteilung des Spielniveaus. Trotz teilweise leer wirkenden Stadien – welche die UEFA bisher auf die erhöhte Terrorgefahr schob – dürfte die derzeit führungslose, von Korruptionsvorwürfen zerrüttete Union europäischer Fußballverbände mit dem Abschneiden zufrieden sein. Die Deutschlandspiele der Vorrunde sahen zwischen 25 und 27 Millionen Menschen im deutschen Fernsehen. Die öffentlichen Sender verzeichneten hier somit einen kleinen Zuwachs gegenüber der Europameisterschaft 2012. Wie zu erwarten, schalteten nur etwa durchschnittlich 9 Millionen bei Partien der Vorrunde ohne deutsche Beteiligung ein, was gegenüber 2012 (durchschnittlich 11,2 Millionen) einen klaren Rückgang bedeutet.

Durch die höhere Anzahl an Spielen war die Gesamtzahl an Zuschauern über die Summe aller Spiele allerdings eindeutig größer. Zusammengerechnet mit den höheren Zuschauerzahlen in den zusätzlichen Ländern, darf davon ausgegangen werden, dass die UEFA durch die Aufstockung der Teilnehmerländer auf 24 auch in Zukunft Mehreinnahmen aus der Vergabe von TV-Rechten erzielen wird.

Der Ausblick

„I don’t look back, I look in front“ gab einst ein nicht unbedeutender deutscher Fußballer in (nicht ganz) lupenreinen Englisch zum Besten und beschreibt damit die von der UEFA benötigte Einstellung recht passend. Wenngleich angemessen scheint angesichts der aufgeführten Argumente eine Re-Reduzierung auf 16 Teams unwahrscheinlich. Auf absehbare Zukunft wird es erfahrungsgemäß erst einmal keine weiteren Änderungen geben.
Letztlich ließe sich sogar argumentieren, dass eine weitere Erhöhung der Teilnehmerländer auf 32 der logische nächste Schritt wäre. Die maximale Anzahl der Spiele (Gruppenphase + maximal vier K.O.-Rundenspiele) bliebe unverändert, während man das seltsam anmutende System des Weiterkommens der vier besten Gruppendritten so umgehen könnte.

Der Verlierer eines solchen Formats wäre zweifelsohne wieder der allgemeine Fußballfan, der nicht in die Schublade „Eventfan“ fällt. Spätestens seit dieser Europameisterschaft dürfte allerdings klar sein, dass Turnierformate langfristig entgegen der höchsten Profitabilität konvergieren werden und Abschnitte in der Attraktivität der Spiele dabei in Kauf genommen werden.

(BEITRAGSBILD: Richa Yadav, CC BY 2.0)