5'
Dass im Saisonverlauf phasenweise überragenden Ulmer Team doch menschliche Züge stecken, hatte nicht erst die Viertelfinalserie gegen Ludwigsburg gezeigt. Dennoch kam das gestrige Halbfinalaus gegen Oldenburg in den BBL-Playoffs eher unerwartet. Die Gedanken eines langjährigen Fans.
Wer sich selbst als „echter Fan“ einer Mannschaft bezeichnet – und das würde der Autor dieses Artikels im Zusammenhang mit den Basketballern von Ratiopharm Ulm tun – dem bleibt am Ende eines solchen Tages wie gestern erstmal ein großes Gefühl der Leere. Wer seit vielen Jahren jedes Gerücht, jeden Kadermove und jedes Freundschaftsspiel dieses Vereins verfolgt, dem bleibt leider der Eindruck, dass Per Günther 9 Sekunden vor Schluss beim Stand von 74:76 nicht nur den Ball, sondern eine vielleicht einmalige, zumindest aber eine besondere Chance weggeworfen hat.
Jede in Deutschland lebende Person, die sich oberflächlich für Basketball interessiert, sollte in den vergangen 8 Monaten von den „Rekord-Ulmern“ gehört haben. Von einer Mannschaft, deren finanzielle Möglichkeiten weit unter denen der Branchenführer Bayern und Bamberg liegt . Von einer Mannschaft, die die BBL-Uraltserie von Siegen am Stück bricht, anschließend den Platz des Hauptrundenmeisters souverän eintütet und nebenbei den wertvollsten und zweitwertvollsten Spieler der Liga, sowie den Trainer des Jahres stellt.
Umso enttäuschender ist dieses jähe, unerwartete Saisonende im Halbfinale. Nüchtern betrachtet hat das Team in einer hochdramatischen Serie gegen eine gute Mannschaft aus Oldenburg verloren, die sich im Bereich Spieleretat, Hallengröße, Infrastrukur und Vereinsphilosophie in einem Maße mit Ulm auf Augenhöhe befindet, wie vielleicht kein anderes Team der Liga. Die vergleichsweise schlechte Hauptrundenplatzierung der Niedersachsen ist unter anderem mit ihrer Teilnahme an der reiseintensiven und sportlich höchstfragwürdigen, weil drittklassigen FIBA Champions League zu begründen. Ein Vergleich dieser Mannschaft mit den Uuulmern anno 2015/16, die nach schwachem Saisonstart unter anderem über Oldenburg ins Finale stürmten, liegt auf der Hand.
Aus der Perspektive des Fans fühlt sich die Situation etwas anders an: Der aktuelle Kader ist, was das Talent angeht, in der Ulmer Historie vermutlich einmalig. Kein anderes der ehemaligen Teams um John Bryant, Allan Ray, Isiah Swann, Jeff Gibbs oder Jarvis Walker hatte die Möglichkeit, einen Gegner auf so viele verschiedene Wege vor Probleme zu stellen. Sei es das Inside-Game von Rubit, Morgan und Ohlbrecht, der Dreierregen von Tadda, Babb und Günther, die Sezierung der Verteidigung durch Pässe von Hobbs, der Basketball-IQ von Braun und Butler oder die Energie eines Wobos oder Prathers. Nicht zu vergessen die über weite Strecken beachtliche Defensivleistung des Teams.
Man hatte das Gefühl, dass diese Ulmer Mannschaft dem dominanten Bamberg tatsächlich etwas entgegensetzen könnte. Dazu trugen nicht nur die beiden Ulmer Saisonsiege gegen die Bamberger bei, sondern auch der Eindruck, dass Bamberg über weite Strecken nicht so gefestigt spielte, wie in den vergangenen Jahren. Die Oberfranken nahmen in den entscheidenden Phasen oftmals schlechte Würfe und ließen in der Defensive leichte Körbe zu. Zudem hätte Ulm das erste Mal den Heimvorteil auf seiner Seite gehabt.
Doch es kam anders. Bei einer 1-0 Serienführung und einem Halbzeitstand von +27 in Spiel 2 war ich sicherlich nicht der einzige Ulmer Fan, der da schon mal in den Kalender spickte, um den Besuch der Finalspiele zu planen. Einen 25 Minuten langen Zusammenbruch und zahlreiche haarsträubende Plays später hatten die Oldenburger durch teilweise irre Würfe die Serie ausgeglichen und das Momentum auf ihre Seite zurückgeholt. Dieses gaben Sie bis zu Beginn von Spiel 4 nicht mehr ab.
Die Niederlage im gestrigen Entscheidungsspiel ist dann wohl ein Stück weit auf Varianz im Basketball zurückzuführen. Während der Korb bei Ulm wie vernagelt wirkte, öffnete er sich bei Oldenburg gerade bei schwierigen 3ern am Ende der Shotclock auf die Größe eines Scheunentors. Vorwerfen muss man sich die Leistung in Spiel 5 nicht. Die Tatsache, dass man es soweit kommen lassen hat, allerdings schon.
Geprägt wurde diese historische Ulmer Saison leider auch durch die langfristigen Verletzungen der Leistungsträger Ohlbrecht, Günther und Butler. Als Braydon Hobbs in der zweiten Halbzeit des entscheidenden Spiel 5 auch noch ausfiel, war es an Per Günther, die letzten 20 Minuten bei extrem hoher Intensität durchzuspielen. Ob ein ausgeruhter Günther ein besseres letztes Play gelaufen wäre, werden wir wohl nie erfahren. Ob der vielleicht abgezockteste Ulmer Spieler Da‘Sean Butler in Spiel 2 in wichtigen Momenten die richtigen Entscheidungen getroffen hätte ist ebenfalls im Bereich des Möglichen. Und wie die restliche Saison gelaufen wäre, wenn Günther und Ohlbrecht in ihrer Form von November und Dezember in den Mai und Juni gebeamt worden wären, bleibt ebenso unter den Fragen, die nur der Basketballgott beantworten kann.
Ich kann mich an keine Ulmer Saison erinnern, die so viele Konjunktive zulässt. Man hätte den ersten Meistertitel in der Vereinsgeschichte holen können. Man hätte der Basketballnation gezeigt, dass ein deutscher Meistertitel auch ohne Mäzen oder Finanzspritzen der Fußballer möglich ist. Man hätte die ganze Stadt für einige Tage in den Ausnahmenzustand versetzen können. Man hätte in der kommenden Saison in der Euroleague in teilweise wahnsinniger Atmosphäre gegen Spieler wie Nando de Colo, Vassilis Spanoulis oder Sergio Llull antreten können. Wer von solchen Partien nicht träumt, der liebt den Basketball nicht.
Diese Gedanken tun weh.
Allerdings wird der Zeitpunkt kommen, an dem man auch aus der subjektiven Perspektive eines Fans in erster Linie mit Stolz auf diese Saison zurückblicken kann. Man wird sich bewusst werden, dass diese Truppe auf sympathische Art und Weise Besonderes geleistet hat.
Per Günther, der Spieler der den Ulmer Basketball im letzten Jahrzehnt so geprägt hat wie kein zweiter und dem es gestern nicht vergönnt war dem Spiel eine entscheidende Wendung zu geben, merkte einmal in einem Interview an, dass „der Ulmer Basketball auch ohne einen Titel überleben kann“. Die Hoffnung, dass er es trotzdem irgendwann nicht mehr muss, erlitt gestern einen herben Dämpfer.
Die Vereinsführung sollte sich nun aber nicht vom eingeschlagenen Weg abbringen lassen. Dann klappt es für die Ulmer, die bei allen Beteiligten in der zurückliegenden Saison für so viel Begeisterung sorgten, vielleicht auch mit den Titeln.