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Ein Gastbeitrag von Paul Ludolph
Landesligaspiel in einer mäßig besuchten Sporthalle in der Pfalz an einem Sonntag Ende Januar. Mein Team hat als Aufsteiger die ersten sieben Spiele durch ein wenig Pech und deutlich mehr Unvermögen verloren. Seitdem haben wir allerdings vier von sechs Spielen gewonnen, unter anderem am vergangenen Wochenende zu Hause gegen den Zweiten, einem selbsternannten Aufstiegskandidaten. Dieser meldete sich im Anschluss zu unserem Amusement in einem launischen Spielbericht zu Wort und kritisierte unter anderem die Einstellung der eigenen Spieler. Heute also das Rematch gegen den gleichen Gegner, ein Nachholspiel aus der Hinrunde. Es ist Feuer drin.
Wir starten gut und führen schnell mit sieben Punkten. Es macht Spaß zu sehen wie sich die Gegner wundern und man meint förmlich ihre Fragen zu spüren. Schon wieder gegen die? Waren die nicht die Laufkundschaft der Liga?
Noch 4:30 im ersten Viertel. Für mich läuft es eher mittelmäßig. In den ersten fünf Minuten zwei Layups verlegt, es kommen schon die ersten „Macht doch nix, der nächste geht rein“-Zurufe von der Bank. Unser italienischer Big Man hat den Ball auf dem Flügel, ich fake den Cut übern Highpost und gehe Backdoor. Mein Gegenspieler beißt an und der Pass kommt im richtigen Zeitpunkt Richtung Zonenrand. „C’mon junge, den machst sogar du“ denke ich mir bevor ich zur – in 14 Jahren Basketball tausende Male trainierten – Routine ansetze. Ball in der Luft fangen, rechter Fuß aufsetzen, linker Fu—
Liebe zum Spiel
Ich verlasse das MRT guter Dinge. Eigentlich fühlt sich mein Knie zwei Tage später ganz gut an. Wird also hoffentlich nichts Wildes sein, eher eine Sicherheitsmaßnahme die Untersuchung. Vielleicht reicht’s ja sogar für das nächste Spiel in zweieinhalb Wochen, dem Auftakt zu den vier entscheidenden Partien im Abstiegskampf gegen die unmittelbare Konkurrenz. Ich steige aus der Röhre und blicke in das verzogene Gesicht einer Freundin die das MRT gefahren hat. Ich denke und frage: “Scheiße?!“ „Scheiße. Kreuzband ist hin. Und der Meniskus auch.“
Das erste Mal auf einem Basketballfeld stehe ich im November 2002. Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte mich und ein paar Klassenkameraden fünf Tage zuvor überredet mal mit ins Training zu kommen, da am Wochenende die U12-Saison losgehen würde und man noch Spieler brauche. Als Fußballer gebe ich „diesem Korbball“ mal eine Chance, unter anderem weil es schon damals in Ulm recht populär ist. Nach einem steilen Aufstieg unserer Mannschaft und dem Gewinn der Württembergischen U12-Meisterschaft 2004 ist allerdings spätestens nach einem Auslandsjahr in den USA mit 16 klar, dass meine basketballerische Zukunft eher in Freizeitligen und auf Freiplätzen stattfinden wird. Im Nachhinein ärgerlich, da meine Vorrausetzungen abgesehen von fehlender Bereitschaft leistungsmäßig zu trainieren, einem Skispringerkörper und mangelndem Skill, optimal waren. Die Hoffnung Basketball auf einem professionellen Niveau zu spielen war also früh dahin. Die Liebe zum Spiel blieb.
Wieder zurück… am Spielfeldrand
Zweieinhalb Wochen nach der Diagnose stehe ich wieder in der Halle. Allerdings nicht wie gewohnt in abgewetzten Kobe V, sondern frisch operiert mit Knieorthese und Krücken. Nicht um zu versuchen der Mannschaft auf dem Platz zu helfen, sondern um die Daumen von der Bank zu drücken. Es läuft die übliche Warmup-Playlist. Es gibt hier und da ein paar aufmunternde Worte. So richtig angesprochen fühle ich mich von „My time“ und „Put on for my city“ dieses Mal allerdings nicht. Wir spielen gegen einen Nachbarn und Konkurrenten im Abstiegskampf. Die Kabinenansprache endet mit den üblichen Ansagen wie kämpfen, rebounden und als Team spielen. Die erste Halbzeit ist schwach und uninspiriert, wir liegen gegen einen mittelmäßigen Gegner mit 10 hinten. Der Pausentee wird zusammen mit Zweckoptimismus und Durchhalteparolen serviert. Warum tue ich mir das hier überhaupt an?
Dann passiert etwas Schönes. Einer unserer im Sommer auf dem Freiplatz rekrutierten Neuzugänge geht als aggressive Leader voran und sorgt mit einigen gelungenen Hustle Plays für die emotionale Wende. Ein Sieg der sich sogar als Zuschauer sehr schön anfühlt, beim obligatorischen Bier vor der Halle gucke ich in zufriedene Gesichter mit leuchtenden Augen. Kenne ich irgendwie noch.
Es ist eine der faszinierendsten Dinge im Teamsport, wie es einige Mannschaften schaffen die Verletzungen von vermeintlichen Leistungsträgern zu kompensieren und zu einem gleichwertigen oder sogar besseren Spiel zu finden.
Genau dies passierte bei uns. Ich behaupte selbstverständlich, dass ich mich über die abschließenden vier Siege und den hiermit verbundenen souveränen Klassenerhalt ehrlich freue. Doch wäre es definitiv auch gelogen zu sagen, dass es ansatzweise das Gleiche ist wie selbst auf dem Platz zu stehen und sich in die Punkte-, Rebound- und Turnoverstatistik einzutragen.
Ohne geht es nicht
Stattdessen stehen vier Mal die Woche Lymphdrainage und Krankengymnastik an. Die Physiopraxis, die vom Schnitt her einer Studenten-WG gleicht wird zur vertrauten Umgebung und die Physiotherapeuten zu Bezugspersonen. Die Termine machen den Umständen entsprechend Spaß, und obwohl oder weil einige Übungen mit den Worten „Natürlich tut das weh“ eingeleitet werden, sind Fortschritte schnell erkennbar. Sechs Wochen nach der OP darf ich wieder Fahrrad fahren und das Gefühl genießen verschwitzt vom Sport zu kommen. Einen der größten Fehler während der Reha mache ich als ich mal wieder mit zum Training komme und verloren, im Stehen am Nebenkorb Mitteldistanzwürfe nehme, während die anderen Jungs 3-on-3 zocken. Unschön, seine Grenzen so deutlich aufgezeigt zu bekommen.
Für jemanden der seit 2002 Basketball spielt und seitdem bis auf einen Kapselriss in der U12 und einer White man’s disease im Endstadium das große Glück hatte von Verletzungen verschont zu bleiben, ist ein Kreuzbandriss ein maximaler Einschnitt in den (sportlichen) Alltag. Mitte Januar im Training konnte ich mich noch fingerwedelnd über einen gefühlten Monsterblock an einem unserer Big Man freuen, nun bin ich der Typ für den ältere Damen im Bus von ihren Plätzen aufstehen.
Während ich mich sonst von Sonntag bis Mittwoch über das letzte Spiel ärgere und mich ab Donnerstag auf das Kommende freue, geht es nun darum, ob ich mein Knie schon wieder um 55 oder 60 Grad beugen kann. Während ich in der Hinrunde an zwei potentiellen Game-Winnern gescheitert bin, sitze ich nun Dienstag und Donnerstagabend auf der Couch oder in der Kneipe und gucke Europapokalspiele einer Sportart, die ich gar nicht unbedingt gucken möchte.
Basketball is life
Auch die Durchhalteparolen a la „das wird schon wieder“ und „schön, dass du das Beste draus machst, im September biste zurück“ sind zwar bestimmt ehrlich nett gemeint. Doch insgesamt ist die Stimmung die sich in den ersten drei Monaten der Reha immer irgendwo zwischen „Paint it Black“ und „All I do is Win“ befindet vor allem zu Beginn doch eher in der Richtung Mick Jagger und Co. zu verorten.
Für mich war es im vergangenen Jahrzehnt selbstverständlich zwei bis drei Tage die Woche auf dem Basketballplatz zu verbringen. Und egal ob es sich um ein Relegationsspiel um den Aufstieg, einen Freizeitzock im Volkspark oder ein 1-on-1 gegen den kleinen Bruder in der Einfahrt handelte, nie gönnte ich dem Gegner den Dreck unter den Fingernägeln. Egal ob man zuvor einen guten oder miesen Tag oder Woche oder Monat hatte, auf dem Platz war das nach wenigen Minuten vergessen. Irgendwann gibt es nur noch dich, den Ball und den Clown der meint dich verteidigen zu können.
Im schönen Artikel „Basketball is life“ von bballbreakdown wurde es einmal so ausgedrückt:
There’s a weightless feel to the game of basketball. The problems and worries of your life seem to fade in its presence. When my first girlfriend broke up with me I went to the court. When my dog died I went to the court. An outlet like no other.
Ich denke, das beantwortet auch die Frage wie sehr ich es versuchen werde wieder Basketball spielen zu können.